Ich möchte in loser Folge wissenschaftliche Studien zum Thema Sexualität vorstellen.
Heute geht es um Sexualität nach der Geburt sowie Risikofaktoren für postpartale sexuelle Funktionsstörungen.
Postpartum Female Sexual Function
Die Studie heisst: „Postpartum Female Sexual Function: Risk Factors for Postpartum Sexual Dysfunction“ und wurde von Ola Gutzeit und KollegInnen in 2019/2020 im Journal „Sexual Medicine“ veröffentlicht. Sie ist als PDF für alle frei zugänglich.
Sexuelle Probleme nach der Geburt
Viele Frauen erfahren während der Schwangerschaft und durch die Geburt sowie die anschließende Wochenbettzeit Veränderungen der sexuellen Funktion. Hierfür werden Veränderungen des Körperbildes, Schlafmangel, Anspannung sowie harnblasenbezogene Symptome verantwortlich gemacht. Sexualität nach der Geburt wird vom medizinischen Personal aber häufig gar nicht adressiert, sodass Probleme wie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, ausbleibendes Feuchtwerden, Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu erreichen, Blutungen aus der Scheide oder Schleimhautirritationen sowie Verlust der Lust auf Sexualität gar nicht angesprochen werden. 2-3 Monate nach der Geburt haben zwischen 41% und 83 % der Frauen sexuelle Funktionsstörungen, 6 Monate nach der Geburt etwa 64%. Vor der Schwangerschaft haben ca. 38% der Frauen sexuelle Funktionsstörungen.
Es dauert auch manchmal mehr als 18 Monate nach einer Geburt, bis sexueller Genuss und emotionale Befriedigung wieder erreicht werden können.
Diese hohe Rate sexueller Störungen nach Geburt verschlechtert auch die Lebensqualität, sodass dieses Thema in den Blick genommen werden sollte.
Risikofaktoren für sexuelle Funktionsstörungen nach der Geburt
Die Studie untersuchte nun, welche Risikofaktoren es für sexuelle Funktionsstörungen nach einer Geburt gibt.
Für die Art der Geburt (vaginal oder Kaiserschnitt) scheint es keinen Unterschied zu geben. Manche Studien berichten von mehr kurzfristigen Problemen nach einer vaginalen Geburt (z.B. Schmerzen beim Verkehr oder Urininkontinenz), dies scheint eher bei vaginal-operativen Geburten der Fall zu sein (also bei einer Saugglockengeburt oder Zangengeburt).
Bei Dammrissen gibt es 4 verschiedene Schweregrade. Erstgradige Dammrisse betreffen die perineale Haut und die vaginale Schleimhaut, zweitgradige Dammrisse betreffen perineale Muskulatur und Haut, drittgradige Dammrisse betreffen die Scheidenwand und das Perineum bis zum Afterschließmuskel und viertgradige Dammrisse reichen bis zum Anus oder Rektum. Dritt- und viertgradige Dammrisse, also schwerere Traumata des Dammes bei vaginalen Geburten kommen in Europa in etwa 1-3% der Geburten vor. Diese schweren Formen des Damrisses ist ein Risikofaktor für sexuelle Störungen. Hier sind vor allem Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und reduzierte Häufigkeit von sexuellen Kontakten zu nennen.
Ein Dammschnitt ist ein kontrollierter vaginaler und perinealer chirurgischer Schnitt, der in verschiedenen Ländern unterschiedlich häufig durchgeführt wird. Es wurde in der Studie untersucht, ob ein Dammschnitt Einfluss auf die sexuelle Funktion hat. Hier gibt es kein eindeutiges Ergebnis, ein Dammschnitt scheint die sexuelle Funktion nach der Geburt nicht zu verbessern, aber wohl auch nicht zu verschlechtern.
Das Stillen des Baby (oder der Babies) nach der Geburt wird aus vielen Gründen sehr empfohlen, vor allem ist der positive Einfluss sowohl auf die Gesundheit des Kindes als auch auf die Mutter gut wissenschaftlich belegt. Ein positiver Einfluss auf die sexuelle Funktion ist jedoch nicht so klar, da abgesehen von den psychologischen Effekten beim Stillen das Östrogen, sowie Progesteron und Androgene niedrig sind und Prolactin hoch. Dadurch kann es zu reduziertem Feuchtwerden, erhöhter Empfindlichkeit der Brust und niedrigerem sexuellem Verlangen kommen. Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass stillende Mütter später zur Sexualität in der Paarbeziehung zurückkehren als nichtstillende Mütter. Stillende Mütter berichten etwas mehr sexuelle Funktionsstörungen haben als nichtstillende Mütter. Dies hatte jedoch keinen negativen Effekt auf die Paarbeziehung.
Weitere Einflüsse auf die Sexualität nach der Geburt haben: Mythen und religiöse Anschauungen, postpartale Depression und Psychose; Erstgebärende haben mehr Probleme als Mehrgebärende mit schmerzhaftem Verkehr. Zudem haben ältere Frauen mehr Schwierigkeiten als jüngere Frauen.
Empfehlungen
Aus dieser Studie werden folgende Empfehlungen abgeleitet (abgesehen vom Wunsch nach mehr Daten und besserer Forschung):
Frauen sollten „vorsichtiger sein, Kaiserschnitte aufgrund des Erhaltes der Sexualität“ zu wählen.
Beckenbodentraining wird als Erstlinientherapie für Urininkontinenz und leichte Beckenorganvorfälle empfohlen, dies kann auch einige Aspekte des Sexuallebens verbessern.
Bezüglich der Idee, lieber einen Dammschnitt durchzuführen, statt einen Dammriss dritten oder vierten Grades zu riskieren, gibt es keine Einigkeit, da hier ein sicherer Nutzen nicht belegt ist.
Für das Stillen beziehungsweise die vaginale Trockenheit während der Stillzeit wird eine vaginale Östrogentherapie nicht empfohlen.
Ebenso konnten die AutorInnen keine Daten zur Psychotherapie in der Postpartalphase finden. Dies wird als ein weiterer Beleg für die Nichtwahrnehmung dieses Themas bei Ärztinnen und Ärzten betrachtet.
Gibt es Feedback zu diesem Format? Falls Sie und ihr Themenvorschläge habt, sendet mir gern eine Mail!
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